Die Zeit vergeht wie im Flug und wir nähern uns mit riesen Schritten
Weihnachten. Richtig weihnachtlich ist einem allerdings noch nicht zu Mute,
wenn man tagsüber immer noch problemlos im T-Shirt rumlaufen kann.
So stressig wie die Weihnachtszeit werden kann, so vollgepackt waren
die letzten Wochen mit verschiedensten Veranstaltungen, Lectures und geselligem
Beisammensein.
Am 9. November haben wir Volontäre in Nes Ammim eine
Gedenkveranstaltung zur sogenannten "Reichskristallnacht" organisiert. Nach einer
etwas holprigen Generalprobe, die eher einem großen Durcheinander glich, lief die tatsächliche Veranstaltung wie am Schnürchen. Es
war eine gute Mischung aus Musik und historischen wie politischen Vorträgen.
Der Höhepunkt für mich persönlich war der Vortrag von Moshe Zuckermann, der einige Worte zur Gedenkkultur äußerte und klarstellte, dass echtes
Gedenken nicht beim Erinnern stehen bleiben darf, sondern sich ins Handeln
erstrecken muss. Echtes Erinnern bedeutet, nie wieder zuzulassen, dass solch
schrecklichen Ereignisse wie die „Reichskristallnacht“ passieren. Wahre Worte
aus meiner Perspektive.
Kurioses aus vergangenen Zeiten im Mseum über die deutschen Juden. |
Weiterhin unternahmen wir einen Kurztrip in die nähere Umgebung,
um
etwas über die Geschichte Nahariyas, direkt in unserer Nachbarschaft zu
erfahren. Wir besuchten das Liebermann Museum, benannt nach einem der Gründer
Nahariyas Phillip Liebermann und bekamen einen interessanten Einblick in die
Anfänge der Stadt, die extrem von der Landwirtschaft bestimmt waren. Im
Hinblick auf das heutige Stadtbild ist das besonders faszinierend, da im
heutigen Nahariya keine Spur von den landwirtschaftlichen Anfängen zu entdecken sind. Weiter ging es dann ins Industriegebiet von Nahariya, dass eine Mischung
eben aus Industriegebiet und Kunstaustellung bietet. Von alten Autos, moderner
Kunst bis zur Geschichte deutscher Juden findet man dort vieles in eigenen
Ausstellungsräumen.
Auch die Lectures kamen in den letzten Wochen nicht zu kurz und so
sprach einmal Avner Shai über das israelische Militär zu uns und ein anderes
Mal die Reformrabbinerin Ariella Graetz-bar Tuv über das Leben der
Reformgemeinde in Nahariya.
Avner Shai ist heute Reservist
und hat selbst in jungen Jahren seinen dreijährigen Militärdienst abgeleistet.
Er berichtete uns sehr ausführlich von den harten medizinischen, kognitiven und
physischen Aufnahmetests (nach den Tests bekommt man einen bestimmten Wert in
Prozent zugewiesen, der sich für den Rest des Militärdienstes nicht mehr ändert), dem
Verhältnis zwischen Männern und Frauen in der Truppe (mittlerweile dienen beide
Geschlechter in denselben Einheiten, aber Beziehungen sind streng verboten),
der Rolle des Militärs für die israelische Gesellschaft (Avner Shai beschrieb
es als „Melting Pot“: da so gut wie jeder hingehen muss, kommen aus allen
gesellschaftlichen Schichten die verschiedensten Menschen zusammen), den
Zusammenhang zwischen Militär und weiterer beruflicher Karriere (ohne
militärische Laufbahn ist es teilweise unmöglich an manchen Universitäten zu
studieren), die Verbindung zu den Ultraorthodoxen (die Ultraorthodoxen sind vom
Militärdienst im Grunde genommen befreit. Das Militär bietet diesen aber
dennoch einen verkürzten Militärdienst mit einem speziellen Aufgabenbereich an,
der zu ihren Fähigkeiten passt – und diese bestehen eben im Studieren von
Texten) und auch über seine Rolle im Militär. Besonders letzteres war sehr
bewegend, da man deutlich die Zerrissenheit spüren konnte, die sicher viele
Israelis in sich tragen: Einerseits um die Grausamkeit des Krieges zu wissen
und diese auf ganzer Linie ablehnend, andererseits sich aber ständig in einer
für Europäer kaum nachzuvollziehenden Bedrohungssituation durch die umliegenden
Länder zu wissen und von dieser Position aus für die Heimat kämpfen zu wollen
oder zu müssen. Ein Vortrag, der bei mir einerseits tiefen Respekt hervorrief,
andererseits aber auch ein Gefühl von Fremdheit.
Die Lecture bei Ariella Graetz-bar tuv gab uns einen hervorragenden Einblick
in die Reformsynagoge von Naharia im Allgemeinen und im Besonderen über die
Situation der Reformjuden in Israel. Die Reformgemeinde zählt auf dem Papier
100 Mitglieder, am Gemeindeleben nimmt etwa knapp die Hälfte teil. In ganz Israel
gibt es etwa 50 Reformgemeinden – damit sind sie deutlich in der Minderheit neben
konservativen und orthodoxen Gemeinden. Die grundsätzlichen Richtlinien der
Reformgemeinden bestehen in der Gleichstellung der Frau neben dem Mann – daher sind
auch weibliche Rabbinerinnen zugelassen – und in einem anderen Umgang mit der
Halacha, also der rechtlichen Auslegung der Thora: die Halacha wird studiert, sie
wird aber nicht zwingend als direkte Anweisung für das eigene Leben verstanden. Der
Besuch bei Ariella brachte uns einen hervorragenden Einblick in das religiöse
Leben der Reformgemeinde mit der wir in Nes Ammim ja in engem Kontakt stehen
und deren Feste wir schon einige Male besucht haben.
Dann stand auch schon das Jerusalem-Seminar vor der Tür. Es war
natürlich großartig. Davon mehr demnächst.
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