Das Jerusalemseminar



Jerusalem – Stadt der drei großen abrahamitischen Religionen, Pilgerort und Ziel religiöser Sehnsüchte aller Art. Gleichzeitig auch ein Ort großer Konflikte, an dem man die Teilung des Landes hautnah miterleben kann. Und selbstverständlich ein historisch bedeutungsvoller Ort, in dem jede Gasse und jede Straße der Altstadt die Ereignisse vergangener Jahrhunderte atmet. Wohl nur an wenigen anderen Orten treffen Moderne und Vergangenheit so interessant, vielfältig und konfliktreich aufeinander wie in  Jerusalem. Für drei Tage durften wir ein wenig von dieser Vielfalt miterleben. Da das Hotel in Nes Ammim in diesen Tagen nicht besonders viele Gäste beherbergte, konnte die Mehrzahl der Volontäre an dem Seminar teilnehmen. Untergebracht waren wir im Ecce Homo Konvent, sehr zentral in der Altstadt. Das Programm war dicht gefüllt und bestand aus einer Mischung aus Lectures und Führungen zu den zentralen religiösen und historischen Orten der Stadt. Definitive Highlights waren für mich die Lecture bei Meir Margalit, dem ehemaligen Meretz Vertreter im Jerusalemer Stadtrat, der Besuch der Davidstadt und die Grabeskirche.
Der Ölberg - die Bäume sind übrigens nicht aus der Zeit Jesu...
Meirs Vortrag beschäftigte sich mit der Diskriminierung der Araber in Jerusalem, einerseits durch Privatpersonen und andererseits durch die Stadt selbst. Das von ihm gewählte Beispiel, dass er uns durch zahlreiches Bildmaterial veranschaulichte, klingt zunächst banal, nämlich Stadtschilder. In Jerusalem und überhaupt in Israel ist es üblich Stadt- oder Ortsnamen in hebräischen, arabischen und in lateinischen Buchstaben auf ein Ortsschild zu schreiben. Häufig findet sich in Jerusalem der Fall, dass der arabische Teil bewusst von Privatpersonen übermalt oder überklebt wird. Aussage dahinter laut Meir: Wir, die Israelis, wollen euch Araber hier nicht. Geht man dann selbst mit dem so geschulten Blick durch die Straßen Jerusalems trifft man dieses Phänomen tatsächlich recht häufig an. In ganz anderem Maßstab wird diese Diskriminierung aber von der Regierung selbst betrieben: Auf den ganz normalen Hinweisschildern, bspw. zur Altstadt oder zum Mount Scopus, tauchen die arabischen Stadtviertel, durch die man zwangsläufig hindurch muss, einfach nicht auf. Wirklich brisant wird diese Taktik der Regierung allerdings erst vor dem Hintergrund, dass heute schon von den 15-25 jährigen Jerusalemern 50 % Palästinenser*innen sind, Tendenz steigend und schon in 10 Jahren könnten sie die Mehrheit stellen. Würden die Palästinenser dann ihren Boykott der Stadtratswahlen aufgeben, hätten sie über Nacht die Mehrheit, was die jüdische Stadtverwaltung aber durch die eben beschriebene Maßnahme, wie auch durch weitere, nach Kräften zu verhindern sucht. Ein spannender Vortrag mit augenöffnendem  Effekt, der durchaus auch ein mulmiges Gefühl zurückließ. Frieden ist noch in weiter Ferne…
Blick auf den Tempelberg.
Historisch von großer Bedeutung ist die sogenannte Davidsstadt, ganz in der Nähe des Tempelberges. Dort hat man Gebäudestrukturen freigelegt, die möglicherweise bis in die Zeit König Davids zurückreichen und damit in eine Zeit, die sehr gerne national-religiös verklärt wird. Unser Guide wies uns damit auf ein generelles Problem hin, mit das jede historische und insbesondere archäologische Forschung im Heiligen Land sehr zu kämpfen hat: mit der Vereinnahmung antiker Hinterlassenschaften durch national-religiöse Ansprüche. Dahinter verbirgt sich, wie bei vielen anderen Dingen auch ein Kulturkampf, der bis in die Wissenschaft ausgedehnt wird. Lässt sich belegen, dass bspw. die Bauwerke der Davidsstadt wirklich zu einhundert Prozent in die Zeit König Davids zurückdatiert werden können und die gefundenen Strukturen wirklich mit König David und dem Judentum in Verbindung gebracht werden können, ergibt sich daraus für die Vertreter religiös-zionistischer Interessen automatisch ein Anspruch auf das Land Israel, frei nach dem Motto: wir waren schon immer hier. Wie schwierig solche Argumentationen sind, einen Anspruch in der Gegenwart aufgrund vergangener Ereignisse einzufordern liegt auf der Hand. Ganz abgesehen von den Datierungsschwierigkeiten der ältesten Strukturen.
Blick in die Kuppel der Grabeskirche.
Nicht ganz so alt aber ähnlich religiös aufgeladen ist die Grabeskirche. Die Grabeskirche steht aller Wahrscheinlichkeit tatsächlich an dem Ort an dem Jesus Christus gekreuzigt wurde. Das Kirchengebäude wurde durch die Jahrhunderte immer wieder umgebaut und neuaufgebaut, die ältesten Strukturen reichen aber bis ins 4. Jahrhundert zurück. Der Legende nach veranlasste die Mutter Kaiser Konstantins, Helena, den Bau, die dort auch Splitter vom echten Kreuz fand. Weiterhin finden sich in der Kirche der sogenannte Salbungsstein, auf dem der Leichnam Jesu gesalbt wurde und auch das Grab Jesu selbst, in der Mitte unter der großen Kuppel der Grabeskirche in einem separaten Schrein. Letzteres habe ich bisher noch nicht mit eigenen Augen gesehen, der Strom an Pilgern ist einfach zu groß. Mit der Kirche verbinden sich neben diesen religiösen Großereignissen noch zahlreiche kleinere Ereignisse. So kommt es auch, dass sich sechs christliche Konfessionen die Kirche teilen. Da man sich, wie es üblich ist, nicht einigen konnte, welche Konfession die Schlüsselgewalt bekommt, wurden die Schlüssel zum Hauptportal in die Hände einer muslimischen Familie gegeben. Auf jeden Fall pragmatisch. Mich fasziniert dieser Ort sehr, aber nicht so sehr, weil dort eine besonders religiöse Stimmung in mir aufkommt. Es ist eher die Art von religiöser Verehrung, die diesem Ort durch die vielen anderen Pilger zukommt. Ich habe den großen Respekt für diese Art von Frömmigkeit, die ihre Kraft durch das handgreifliche Erleben Heiliger Stätten bezieht, mir selbst geben diese Orte aber nur wenig. In mir würde nie und nimmer ein Gefühl von Heiligkeit oder religiöser Erhebung aufkommen, wenn ich zwei Stunden anstehen müsste, um das vermeintliche Grab Jesu ansehen zu können. Gleiches gilt für den Golgothafelsen oder den Salbungsstein. Und so war es eben auch diesmal: Das Gedränge und Geschupse nervt mich nur, die Lautstärke ist mir ein Graus und die unzähligen Kameras verwandeln diese Kirche in ein Museum und nicht in einen Ort der Gottesverehrung. Es sind für mich dann eben doch nur Steine. So musste ich bei meinem Durchgang durch die Grabeskirche häufig an Mk 16,6 denken: „Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier.“ So komme ich an Orten wie diesem immer wieder selbst ins Nachdenken über meine eigene Frömmigkeit und das empfinde ich als sehr positiv.
Noch vieles wäre über Jerusalem, die Heilige, zu berichten, aber ich möchte es bei diesem kleinen Einblick belassen. Am besten ist es einfach irgendwann selbst hinzufahren, denn Jerusalem sollte man schon einmal selbst erlebt haben.

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