Der Winter hat die letzten Wochen in Nes Ammim deutlich bestimmt und
so hatten wir hier eine Menge Regen. Für das Gartenteam war das besonders
ärgerlich, da wir wegen des schlechten Wetters oft nicht arbeiten konnten. Als
hätten wir nicht genug Wasser ist uns dann vor einigen Wochen auch noch die
Hauptwasserzuleitung nach Nes Ammim geplatzt: Wasserverlust von einer Million
Liter und verärgerte Hotelgäste waren die Folge, da wir für Stunden kein Wasser
in Nes Ammim hatten. Dafür aber reichlich auf dem Feld unter dem die Zuleitung
begraben lag. Nach 8 Stunden harter und matschiger Arbeit und dem Verlust von
vier Gummistiefeln war das sprudelnde Nass dann aber wieder überall in Nes
Ammim zu haben. Trotz des schlechten Wetters war das study Programm der letzten
Wochen aber wieder mit vielen besonderen Schmankerln bestückt.
So besuchten wir unser Nachbarkibbuz Lochamer hagetaot. Die
Ghettofighters, wie das Kibbuz frei übersetzt heißt, wurde eben von diesen
gegründet: von jüdischen Kämpfern des Warschauer Ghettos im 2. Weltkrieg. Das
Kibbuz beherbergt ein großes Museum, welches die Geschichte des Holocaust
beleuchtet, den Focus aber mehr auf den jüdischen Widerstand setzt und nicht so
sehr auf die Opferrolle der Juden, wie es häufiger in europäischen Museen zum
Holocaust anzutreffen ist. Das Gespräch mit unserem Guide war sehr bereichernd,
da wir auch einmal Kritik an der Holocaust Erinnerungskultur äußern durften,
welche bisweilen einen Hang zur Überemotionaliesung hat und dadurch die Debatte
verdeckt, wie wir heute sinnvoll mit dem Thema Holocaust umgehen und welche
ethischen Handlungsimpulse wir daraus ableiten. Immer wenn ich so intensiv wie
im Museum geschehen mit dem Thema Holocaust konfrontiert werde, bringt mich das
zu der generellen Frage nach Moralität, welche Maxime wir für unsere Handlungen
wirksam werden lassen und wie wir sicherstellen, dass diese human sind und eine
solche Katastrophe nicht mehr geschehen kann. Eine Info am Rande: Das Wort Shoa
benutzt hier in Israel anscheinend niemand, der generelle Sprachgebrauch hat
sich auf Holocaust geeinigt.
Weiterhin hatten wir eine Tour mit Rabbi Or durch die Ruinen von Yodefat.
Der berühmte Flavius Josephus führte in diesem kleinen Städtchen die Rebellen
des ersten jüdischen Krieges im Jahre unseres Herrn 67 gegen die Römer an, die
von Vespasian und seinem Sohn Titus ins Feld geführt wurden. Als die Lage
schließlich zunehmend aussichtlos für die Rebellen wurde, beschlossen alle
gemeinsam sich das Leben zu nehmen. Doch wären die Schriften des Flavius Josephus
wohl kaum auf uns Nachgeborene gekommen wenn dieser genauso gehandelt hätte wie
seine jüdischen Brüder und Schwestern und sich das Leben genommen hätte. Die
Geschichte erzählt uns vielmehr, dass Josephus sich ergab und den Feldherren
Vespasian und Titus von einem Traum erzählte in dem er beide als Kaiser sah.
Überzeugt von dieser Räuberpistole begnadigten sie Josephus und ließen ihn zu
Ruhm und Ansehen kommen und ermöglichten uns die Lektüre so lehrreicher Werke
wie de bello judaico und den Antiquitates.
Rabbi Or berichtete uns außerdem über das Fest der Bäume Tubischevat,
welches wir in den letzten Wochen ebenfalls gefeiert haben. Besonders
interessant war für mich die Veränderung der Bedeutung dieses Festes durch die
vergangenen Jahrhunderte. So war dieses Fest der Bäume zunächst gar kein Fest,
sondern ganz simpel der Tag an dem die Steuern eingenommen wurden, nämlich am „15
des Monats Schevat“, was der Name des Festes übersetzt bedeutet. Auf der
zweiten Stufe des Festes kamen dann getrocknete Früchte ins Spiel, welche die
Juden in der Diaspora als Erinnerung an die ferne Heimat verzehrten. Die
Kabbalisten aus Swat verinnerlichten diesen Brauch dann, sodass jeder der
verzehrten Früchte auch noch eine bestimmte Bedeutung zukam. Zu Beginn des 20.
Jahrhunderts vereinnahmte der Zionismus das Fest für sich und verstärkte den
durch die Früchte bereits inhärenten Charakter der Erdverbundenheit. Nun wurden
an Tubischevat Bäume gepflanzt, um die Begrünung des Landes voranzubringen. Die
vorerst letzte Stufe erreicht das Fest in unseren Tagen, in denen besonders ein
allgemeines ökologisches Bewusstsein betont wird und zu einem verantwortungsvollen
Umgang mit der Natur aufgerufen wird. Viele Juden fahren an diesem Tag raus in
die Natur, wandern und essen dabei getrocknete Früchte. Ein kleines aber doch
sehr feines Fest.
Blick auf das Neubaugbeit des Kibbuz. |
Schließlich besuchten wir noch das Kibbuz Mishmar ha’emek und wurden
von unserem Guide Lydia Greenberg mit originalem britischen Akzent und einer
gehörgien Portion derbem Humor in die Geschichte des 96 Jahre alten Kibbuz
eingeführt. Wirklich faszinierend an diesem Kibbuz ist, dass hier ein Teil der
ursprünglichen Kibbuzidee erhalten ist: Alle Einwohner des Kibbuz überweisen
ihren Lohn auf ein Gemeinschaftskonto. Diese Summe wird dann auf alle Einwohner
aufgeteilt, sodass jeder den gleichen Lohn erhält. Weiterhin ist der
Privatbesitz eines Autos verboten, dem Kibbuz stehen aber reichlich Autos zur
Verfügung, sodass wirklich niemand laufen muss. Sobald man 70 ist, kann man das
Laufen dann ganz auf die eigenen vier Wände beschränken, da jedem Bewohner ab
70 ein eigenes Golfmobil zur Verfügung gestellt wird. Neben ihrer
Guidetätigkeit ist Lydia aber eigentlich Fridensaktivistin und sehr darum
bemüht, dass sowohl die israelische Seite als auch die palästinensische Seite
gehört wird.
Die Moschee von Bartaa. |
Das wurde besonders deutlich als wir das Städtchen Bartaa
besuchten. Mitten durch die Stadt verläuft die sogenannte Greenline, die das
Westjordanland von Israel abtrennt und damit die Stadt faktisch zweiteilt in
einen jüdischen und einen palästinensischen Teil. Aus diesem Grund hat die Stadt auch zwei Verwaltungen
und zwei Schulen. Das Problem verschärft sich aber noch, da der Grenzzaun, der
eigentlich auf der Greenline verlaufen sollte partiell von dieser abweicht und
ins Westjordanland hineinreicht. Dadurch entsteht ein Gebiet zwischen Greenline
und Grenzzaun, welches Lydia „Limboland“ nennt, da hier eine rechtlich völlig
verworrene Situation herrscht. Für Bartaa selbst hat die Greenline verheerende Konsequenzen,
da viele Familien durch sie getrennt wurden und die eine Seite nun auf
palästinensischer und die andere auf jüdischer Seite lebt. Mit einem einfachen
Übertreten dieser imaginären Linie machen sich die Einwohner aber strafbar.
Diese Situation ist besonders für Palästinenser schlimm, da diese erneute
Grenzkontrollen über sich ergehen lassen müssen, wenn sie aus dem „Limboland“
in das Westjordanland gelangen möchten. Nah am Grenzzaun zeigte uns Lydia aber
auch die andere Seite des Konflikts als wir ein Denkmal für die jüdischen Opfer
eines Bombenanschlags auf einen Bus passierten. Lydia machte uns immer wieder
klar, dass es in diesem Konflikt nicht einfach Gut und Böse, schwarz und weiß
gibt, sondern nur viele „shades auf grey“ gibt. Auf beiden Seiten, israelischer
wie palästinensischer Seite gibt es Opfer wie Täter. Bei mir hiterließ der Trip
ein gewisses Gefühl der Frustration, da sich in diesem kleinen Städtchen die
Probleme des ganzen Landes widerspiegeln und schon auf dieser Ebene eine Lösung
der Problemlage nicht absehbar ist. Die von Lydia benannten „shades of grey“
sind für mich persönlich immer wieder eine Erinnerung daran, nicht zu vergessen
wie komplex die Situation Israels und Palästinas ist und das hier einfache
Lösungen und vorschnelle Urteile und Parteinahmen für eine der Seiten völlig
fehl am Platze sind.
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