Das Westbankseminar


Viel ist passiert in den letzten Wochen vor Pessach und während ich diese Zeilen schreibe sind bereits die ersten Gäste eingetroffen. Heute Abend beginnt das große Pessachspektakel. So hatten wir ein großartiges Seminar in der Westbank mit vielen interessanten Begegnungen. Leider ist aber auch mein Opa gestorben. Aus diesem traurigen Anlass habe ich eine Woche zuhause verbracht. Auch wenn einem natürlich bewusst ist, dass die eigenen Großeltern nicht ewig leben können, so ist es mir jedoch bis zum Tod meines Opas sehr schwer gefallen, mir vorzustellen wie es ist wenn er nicht mehr da ist. Doch nun ist er nicht mehr da, nicht mehr sein Lachen und seine Blödeleien, sein kluger Verstand und seine Geschichten aus vergangenen Tagen – all das ist nicht mehr da und das ist sehr traurig. Aber die Erinnerung an viele wunderbare Momente ist für mich schon ein schöner Trost.
Das Seminar in der Westbank ist das letzte der großen Seminare für mich nach dem Negev und dem Jerusalem Seminar. Es war auch zugleich das aus politischer Sicht interessanteste. Ich will im Folgenden einen kleinen Ausschnitt dieser Tage geben.
Unsere erste Station war in Beit Jala, wo wir das Schulzentrum Talita kumi besuchten. Dieses besondere Schulprojekt wird vorwiegend von Deutschland aus finanziert und die Schüler dort können das deutsche Abitur erwerben. Bereits im Kindergarten, der auch zum Schulzentrum gehört, lernen die Kinder deutsch und englisch, sodass beide Sprachen in den späteren Schuljahren auf höchstem Niveau gesprochen werden. Von den beeindruckenden Deutschkenntnissen einer der angehenden Abiturientinnen konnten wir uns selbst in einer kurzen Begegnung überzeugen. Da das deutsche Abitur erlernt wird, werden auch in den anderen Fächern dieselben Inhalte vermittelt wie in Deutschland und eben auch auf Deutsch. Eine gewaltige Herausforderung in Fächern wie Mathe, Physik und Chemie. Viele der Abiturienten studieren dann auch in Deutschland und ein Großteil – so sagte man uns – kehrt nach erfolgreichem Studium zurück in die Heimat. Neben dem Schulzentrum bietet Talita kumi auch einen Wohnort für Mädchen und Jungen aus schwierigen Verhältnissen sowie ein Gästehaus. Für mich war es beeindruckend zu sehen, mit welchem Engagement in die Bildung dieser Kinder investiert wird und wie sich auch europäische Freiwillige in diesem Projekt einbringen.
Das Gespräch mit dem Bürgermeister von Al´u Bedia, einer kleine palästinensischen Staat, drehte sich mehr um die alltäglichen Probleme einer Stadt, die sich aus den Konflikten mit den Israelis ergeben. So bereite das Abwasser der Stadt große Probleme, da dieses durch offene Kanäle ins nirgendwo geleitet wird. Dadurch wird das Trinkwasser aber immer wieder verunreinigt,  wodurch es schon zu Krankheiten in der Bevölkerung kam. Weiterhin ist der Müll zum Problem geworden, da die 15.000 Einwohner zählende Stadt nur über ein Müllfahrzeug verfügt – eindeutig zu wenig. Um diese Probleme zu lösen müsste mehr Geld beschafft werden, was aber nur mäßig gelingt. So bekamen wir einen guten Einblick in die Probleme einer palästinensischen Kleinstadt.
Eines der vielen Kunstwerke auf der Mauer.
Der Besuch beim tent of Nations zeigte uns wie eine Familie  unter der israelischen Besatzung zu leiden hat. Das Tent of Nations liegt in der Nähe von Betlehem auf einem kleinen Berg. Das Land ist schon seit gut 100 Jahren in der Hand der Familie, die dort Landwirtschaft betreibt. Nach der Staatsgründung Israels sollte die Familie enteignet werden, wogegen sich diese schon seit Jahrzehnten tapfer wehrt. Jede Räumungsaufforderung und jede Mitteilung der Behörden die bestehenden Gebäude abzureißen wurden bisher vor Gericht erfolgreich zurückgeschlagen. Das Leben dort findet unter wirklich harten Bedingungen statt. So ist es behördlich verboten weitere Gebäude zu errichten und bis vor wenigen Jahren gab es dort auch keinen Strom und fließend Wasser. Dennoch sind die Menschen dort nicht verbittert. Im Gegenteil: aus ihrem christlichen Glauben heraus weigern sie sich – und das ist ein Zitat – Feinde zu sein. Alles was ihnen genommen wird, alles was zerstört wird, bauen sie wieder auf in der Hoffnung, dass ihr friedlicher Widerstand irgendwann Früchte trägt und es Frieden im Land geben wird. Der Ort ist weiterhin, dem Namen gemäß, zu einer Begegnungsstätte von Menschen aus unterschiedlichen Ländern geworden und auch dort verrichten Freiwillige ihren Dienst. Der Besuch dort hat mich tief fasziniert, zu sehen wie diese Menschen trotz all der Schwierigkeiten sich ihr Lachen und ihre Lebensfreude bewahrt haben.
Ein eher ernüchternder Besuch erwartete uns in einer jüdischen Siedlung, die ins Gebiet der Palästinenser gebaut ist und somit illegal. Der Siedler empfing uns sehr freundlich während er seinen Enkel im Kinderwagen umher schob. Er versicherte uns, dass es hier im Grunde genommen sicher sei, während er aber gelichzeitig eine Handfeuerwaffe im Hosenbund trug und von Überfällen aus jüngster Vergangenheit berichtete. Aus diesem Grund trug nun auch die Waffe. Er führte uns durch die Siedlung die auch eine Jeschiwa beherbergt, eine Schule in der die Schüler fünf Jahre lang die Thora studieren und diskutieren. Seine Haltung zu den politischen Gegebenheiten im Land vermittelte er uns unverblümt: es gibt nur ein Land Israel. Daher ist keine der jüdischen Siedlungen im Gebiet der Palästinenser illegal. Seine politische Lösung sah dann auch wenig rosig für die Palästinenser aus: da die Zweistaatenlösung seiner Ansicht nach gescheitert sei, müssten sich nun die Palästinenser mit der gegebene Situation abfinden. Eine Diskussion wäre an dieser Stelle vollkommen sinnlos gewesen, da der Siedler die politischen Realitäten einfach nicht akzeptiert: alles gehört Israel und fertig.
Die Lernenden in der Jeschiwa.
Insgesamt war es vor allem interessant zu sehen wie unterschiedlich die Menschen in Palästina mit der Konfliktsituation umgehen. Bei einigen unserer Besuche hatte ich das Gefühl, dass man sich mittlerweile häuslich eingerichtet hatte in der Opferrolle und gar nicht mehr versucht irgendetwas zu verbessern. Da war die Church of Hope ein gutes Gegenbeispiel, dessen Pastor genau vor dieser Opferrolle warnte und das Gegenteil forderte: raus aus der Passivität und aktiv werden, so gut es eben geht.
Für uns Europäer meine ich zumindest eine ganz wichtige Lektion mitnehmen zu können: es steht uns nicht zu Partei für eine der Seiten, sei es die der Palästinenser oder die der Israelis, zu ergreifen. Wir leben in Nes Ammim, in Israel und wir haben auch hier schon Juden getroffen, die bei Terrorangriffen Familienangehörige verloren haben. Jetzt haben wir die andere Seite kennengelernt und wissen auch um das Leid der Palästinenser. Sicher kann man sagen, dass z.B. der jüdische Siedlungsbau illegal ist. Das ist er, zweifellos. Aber nun einfach stumpf die Seite der Palästinenser zu wählen und die Opfer auf jüdischer Seite zu ignorieren wäre meines Erachtens falsch. Auch historische Begründungsmuster, wer zuerst hier war und wem daher das Land gehört führen ins Leere, weil all diese Menschen, ob Palästinenser oder Israelis nun hier sind und keiner einfach gehen wird. Es muss eine Lösung geben, die allen Menschen so gut es möglich ist zugutekommt. Unsere Aufgabe in diesem Konflikt kann die der Vermittlung sein, der Moderation, so wie es in Nes Ammim z.B. versucht wird. Nur wenn es Orte gibt wo die Leute miteinander reden können um Lösungen für ihre Problem zu finden und sich nicht gegenseitig bekriegen, kann es vielleicht irgendwann Frieden geben.
Der erste Pessachabend steht nun kurz bevor – im Kern geht es bei Pessach um Freiheit für die Menschen.


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