Wie schnell die Zeit vergeht! Mein letzter Monat hier in Nes Ammim ist
nun so gut wie zu Ende und am Montag geht schon mein Flieger nach Hause. Dass
ich euch diesmal so lange habe warten lassen, hat einen Grund: Mein Computer
hat das letzte Windowsupdate nicht sonderlich gut verkraftet und musste
repariert werden. Daher erfolgt etwas in diesem Blog so noch nicht da
gewesenes, nämlich eine Entschuldigung für die lange Zeit ohne Blog. Also:
Entschuldigung!
Es war aber wieder einiges los und ich will euch gerne auch dieses Mal
mitnehmen durch die vergangenen Wochen.
Der Besuch in Yad Vashem war sicherlich einer der besonderen Momente
der letzten Zeit. Ich hatte diesem Besuch schon lange entgegengefiebert,
eigentlich schon seit 2012 als ich das erste Mal in Israel war und es damals
aber nicht geschafft hatte die Gedenkstätte zu besuchen. Unsere Tour durch Yad
Vashem begann mit dem Bericht einer Holocaustüberlebenden. Die Jahre des
Krieges hatte sie als junges Mädchen erlebt und diese Zeit war geprägt von
einer regelrechten Flucht von Versteck zu Versteck. Manchmal waren die Leute, bei
denen sie sich verstecken musste gut zu ihnen, bei anderen hingegen durften sie
nicht einmal lesen. Besonders das Lesen fehlte ihr, da es besonders gut dagegen
half bei dem täglichen Verstecken nicht irgendwann verrückt zu werden. Der
Geist braucht Beschäftigung, wie sie immer wieder sagte, sonst dreht man
irgendwann durch.
Danach ging es dann mit einem Guide durch die Gedenkstätte. Auch wenn
der Guide wirklich gut war und viele Zusatzinformationen gab, war es doch etwas
hektisch und ich hätte mir hier und da gerne etwas mehr Zeit zum Verweilen
gewünscht. Ausgesprochen positiv war aus meiner Sicht, dass der Guide immer
wieder darauf hinwies sich nicht moralisch über die Täter zu erheben, sondern
sich immer wieder die Frage zu stellen, wie man sich möglicherweise selbst in
der damaligen Zeit verhalten hätte und dass auch die Täter, so schwierig das
oft einzusehen ist, Menschen sind. Es ging dabei weniger darum Verständnis für
die Täter und ihre Taten aufzubringen, sondern vielmehr darum vor der Gefahr zu
warnen, sich über andere moralisch zu überheben.
Einer der Räume in der Ausstellung berührte mich besonders: Es war ein
mit einer Kuppel angelegter Saal in dessen Mitte sich ein tiefes Loch befand an
dessen Boden ein Wasserbecken angelegt war. An den Wänden des Saals waren
tausende Aktenordner in Regalen platziert, die all die Namen der Ermordeten
enthielten und quasi als zweite Kuppel in der größeren äußeren Kuppel waren Fotos
angeordnet von Opfern des Holocaust. Diese Fotos zeigten junge und alte
Menschen, Männer und Frauen, jedoch nicht ausgezehrt nach jahrelanger KZ
Inhaftierung, sondern ganz normal in ihrem alltäglichen Leben. Für mich war
dieser Raum deswegen so berührend, weil diesen Menschen genau dieses Leben,
welches die Fotos abbilden, auf grausamste Weise genommen wurde. Es ist gut,
dass es einen Ort wie Yad Vashem gibt, der genau daran erinnert, dass diese
Menschen nicht nur Opfer sind, sondern echte Menschen, mit einem echten Leben.
Danach ging es weiter zum sogenannten „Canyon“. Dort sind alle Städte
in die steinernen Wände eines künstlich angelegten Canyons eingemeißelt, in
denen jüdische Gemeinden gelebt haben. Es waren natürlich tausende über ganz
Europa verstreut. Meine Heimatstadt Nordhorn habe ich allerdings nicht finden
können, obwohl auch wir eine Synagoge hatten.
Eine der Canyonwände. |
Der Besuch in Yad Vashem war sehr beeindruckend für mich, da die
Gedenkstätte viele Einzelschicksale portraitiert und diese so in Erinnerung
hält und damit auch unsere moralische Verpflichtung ein solches Unglück nicht
noch ein weiteres Mal geschehen zu lassen.
Einer unser Studytrips führte uns im letzten Monat nach Isfija. Dieses
kleine Dorf wird mehrheitlich von Drusen bewohnt. Die Drusen entstammen
ursprünglich dem Islam, haben sich aber mit den Jahrhunderten in Bezug auf das
religiöse Leben stark von diesen entfernt. So kann man nicht Druse werden,
sondern nur als solcher geboren werden. Auch glauben die Drusen an die Reinkarnation
in Form eines ewigen Kreislaufes. Es ist den Drusen außerdem nicht gestattet
Andersgläubige zu heiraten. Geschieht dies doch, ist der totale Ausschluss aus
der Familie damit verbunden. Die Drusen sind außerdem sehr loyal dem Staat
gegenüber in dem sie leben. Daher dienen auch viele Drusen in der israelischen
Armee. Das Highlight des Trips war aber das Essen. Am Schluss durften wir ein
traditionelles drusisches Essen genießen. Ich kann sagen, dass ich selten so
gut gegessen habe in Israel und das meiste davon war sogar vegan (!).
Am Ende des Monats Mai hatte ich mir Urlaub genommen und bin zusammen
mit einigen anderen theologisch interessierten Nes Ammimniks auf die Tagung „Christ
at the Checkpoint“ in Betlehem gefahren. Mehrheitlich wurde die Tagung von
Evangelikalen US-Amerikanern besucht und die Redner waren meistens
palästinensische Theologen. Ich kann sagen, dass ich dort sehr, sehr viel
gelernt habe! Ich kann auch sagen, dass ich davon nichts übernehmen werde!
Schon der Beginn der Veranstaltung war etwas kurios als bei der 2 ½ stündigen
Eröffnungsfeier jeder der Redner ein Loblied auf Mahmut Abbas sang. Auf
Nachfrage bei einem unserer Mitreisenden, der einige der Redner besser kannte,
wurde mir aber erklärt, dass das im Grunde genommen nur Fake war und eigentlich
jeder auf den korrupten Präsidenten schimpft. Nun gut…
Was mich an einigen der Redebeiträge aber besonders störte, war die
theologische Dekonstruktion der bleibenden Erwählung Israels mit Hilfe von selektiver
und meines Erachten falscher Pauluslektüre vor dem Hintergrund, dass durch die
gesamte Tagung Parolen wie „wir wollen Frieden und Gerechtigkeit“
Gebetsmühlenartig wiederholt wurden. So waren einige der Redner Vertreter der „Replacement
theology“, die mit Hilfe von Stellen aus dem Galaterbrief nachweisen wollten,
dass die Erwählung Israels durch Gott nun auf Christus, die Christen und damit
die Kirche übergangen ist. Abgesehen davon, dass das Blödsinn ist, die Stellen
aus dem Kontext gerissen wurden und die entscheidenden Stellen aus dem
Römerbrief, die eindeutig gegen eine solche These sprechen, bewusst ausgespart
wurden, störte mich vor allem die Instrumentalisierung der Theologie und der
Religion in diesem Zusammenhang für politische Zwecke. Den Rednern war es
vielfach nur daran gelegen den besonderen Status Israels vor Gott zu delegitimieren,
weil es ihnen offenbar nicht gelingen wollte, dass biblische Israel nicht
einfach mit dem heutigen Israel zu identifizieren. Und ich sage es gleich dazu:
Ich kann das Leid und die Wut der Palästinenser verstehen! Diese leiden zum
Teil erheblich unter Israels Politik! Doch die Religion für politische Zwecke
zu instrumentalisieren ist gefährlich und im Grunde genommen nichts Anderes als
einige ultraorthodoxe Juden machen: diese nehmen auch die Bibel her um ihrer Phantasterei
auf ein biblische Großisrael ohne Palästinenser politische Realität zu
verleihen. Wenn man an Israel Kritik üben möchte und an ihrem Umgang mit den
Palästinensern, dann kann man diese gerade an ihren besonderen Status als Hüter
der Thora erinnern, der keine qualitative Überlegenheit bedeutet, sondern ein Mehr
an Pflicht: Das Halten der Thora gewährleistet das Bleiben im Bund mit Gott.
Und zum Halten der Thora gehört auch den Nächsten wie den Fremden zu lieben!
Ein zusätzlicher Konflikt wurde weiterhin im Hintergrund der Tagung ausgetragen.
Die Evangelikalen in den USA sind gespalten in eine pro-israelische Fraktion,
den sogenannten christlichen Zionismus und eine pro- palästinensische Fraktion,
die eben auf der Tagung vertreten war. Ich
weiß beim besten Willen nicht wie es helfen soll zu mehr Frieden und
Gerechtigkeit im Land beizutragen, was ja das erklärte Ziel der Tagung war,
wenn sich die Evangelikalen US-Amerikaner auch noch gegenseitig verbal auf die
Mütze geben.
Als weiterer großer Kritikpunkt wäre das Ungleichgewicht der Redner zu
nennen. Es gab einen (!) Vortrag, der Verständnis für die israelische Position
wecken wollte. Einen! Und dieser wurde auch noch sofort im Anschluss mit einer
kurzen Gegenrede quittiert, dessen Kern es war, die israelische Position als
haltlos darzustellen und dass man es Leid sei sich diese noch weiter anzuhören.
Vielleicht habe ich ein anderes Verständnis davon, wie man Frieden und
Gerechtigkeit herstellt, aber wenn zwei Parteien im Streit liegen, sollten auch
beide angehört werden und Raum für Erklärungen bekommen, um zusammen an einer
Lösung zu arbeiten. Das war auf der Tagung nicht der Fall. Vielleicht wurden
keine israelischen Redner eingeladen, vielleicht wollten keine kommen, ich weiß
es nicht. Leider gab es nach den einzelnen Vorträgen keine Möglichkeit Fragen
zu stellen oder in eine Diskussion einzutreten.
Die Tagung hat bei mir ein Gefühl der Niedergeschlagenheit
zurückgelassen, da auch dort wieder mit absoluter Vollkommenheit gezeigt wurde,
dass die Fronten zwischen Israelis und Palästinensern komplett verhärtet sind
und sich keine von beiden Seiten der anderen annähern wird. „Frieden und
Gerechtigkeit“ – diese Phrase wurde so oft wiederholt wie sie leer zu sein
schien und hätte ich jedes Mal einen Schnaps getrunken, wenn sie erklang, ich
wäre nach jedem Sitzungstag sturzbetrunken gewesen. So hat sich diese Tagung
meines Erachtens an ihrem Ideal vergangen – Ich sehe nicht wie man so Frieden
und Gerechtigkeit erreichen kann.
Der Wasserfall, das natürliche Becken und der Felsvorsprung. |
Mit ein bisschen Licht möchte ich dann aber doch schließen. Einer der
Redner war Helfer in einem Flüchtlingslager in Griechenland und hat später im
vom IS besetzten Mossul geholfen Verwundete zu versorgen. Dieser Mann sagte etwas
sehr Kluges zu den Teilnehmern: er sagte, dass es mitunter gefährlich ist sich
ganz auf eine Seite zu schlagen…
Meinen letzten Trip habe ich nach Yehudia unternommen. Dieser
Naturpark bietet einige Wasserfälle und natürliche Becken. Ein kleiner Teil
unserer Wanderung führte uns durch einen Bach, in dem das Wasser teilweise hüfthoch
war. Unser Ziel war einer der Wasserfälle, der in eines der natürlichen Becken
floss. Die Erfrischung war genau richtig bei 38 Grad und ein bisschen Action
gab es auch noch: von einer der Klippen konnte man aus ca. 7 Metern Höhe ins
Wasser springen. Ein gebührendes Ende für meinen letzten Monat!
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